Fernwohl

 

Wie reagiert eigentlich Sehnsucht, wenn sie sich plötzlich von den realen Umständen umgeben sieht – tankt sie dann auf, poliert die Sinne und legt einen Speicher für die Zukunft an? Oder sehnt sie sich umgehend nach der Entfernung zurück?

Da ist sie wieder, die Frage: Was ist schöner, Sehnsucht oder Wirklichkeit (siehe auch »Schiffssehnsuchtsforschung«) ...?

Ich verweise hier auf ein zurückliegendes Experiment, das nach ausgiebigem Schwanken zwischen Fiktion und Wirklichkeitserprobung zu folgendem Ergebnis kam: Auf dem Schiff selbst ist keine Schiffssehnsucht zu spüren. 

( => Teil 1: »Sehr persönliche Sprechstunde«, Teil 2: »Meeressymposium«)

 

Nun also Experiment no. 2: Den wirklichen Hafen noch in allen Sinnen und nun zurück in der Hafenferne. Haben sich mit dem direkten Vergleich die Wirkfaktoren der Sehnsucht verändert?!

 

In Wirklichkeit: nein. ... behauptung ... Wer die Sehnsucht zu genießen weiß, freut sich an der echten Fährfahrt durch den Hamburger Hafen genauso wie an dieser hier ... empfehlung!!! ... :

 

HAFENTOUR

 

Und noch ein zitierenswertes Verlagerungsbeispiel auf gleicher Wellenlänge ... wenn die Sinne wollen, kann der Hamburger Hafen überall sein, auch in Bremen:

 

Die Weser ist nicht die Elbe, aber sie ist okay.

Ein Fluss, auf den man schauen kann.

Wenn man‘s genau nimmt, ist die Weser vollkommen ausreichend.

Wasser, das fließt.

Schiffe, die auf dem Wasser von A nach B fahren, manchmal ist auch ein bisschen Industrie mit dabei.

Kaimauern, auf denen man sitzen kann.

Möwen, sogar große.

Das passt schon, denke ich, und sage: „Das passt schon.“

 

Apropos "passen", ich leihe mir aus gleicher Quelle* gern noch ein weiteres Hafenstimmungsbild aus:

 

Er war gerade im Begriff zu gehen, die Brücke sieben schwankte unter seinen Füßen, aber er hatte sich an das Schwanken gewöhnt, es passte zu ihm.

 

Also: Schwanken lässt sich überall. Auch im Alpenland. Ich komme zu folgendem Ergebnis: Der Hafen ist wunderbar. Auch aus der Ferne. Das passt sofort wieder. Und: Ist Sehnsucht nicht auch Wirklichkeit?

 

Nach so vielen geradezu philosophischen Fragestellungen zum Abschluss hier noch einmal Prosa:

 

Dem Calabretta wächst gleich ein Schiff aus dem Kopf.

„Passt schon“, sagt er und lächelt ein Lächeln aus Blech.

 

Ahoi zum Sonntag!

 

 

* alle Zitate aus Simone Buchholz »Mexikoring«