Pos.: NO 7° 26' 5 / E 132° 53' 26

Date: 26.09.2018

  

Ship: Cargo Vessel

To: Philippines

 

da steht er plötzlich vor dem geöffneten container auf dem vorschiff und erblickt im halbdunkel dieses containerhintergrundes eine frau, weiß gekleidet, die ihn offen anlächelt und ihn auch noch ganz selbstverständlich herein bittet.

tausend gedanken durchzucken ihn.

wie kommt sie überhaupt in diesem container an bord? keiner der crew hat meldung gemacht! hat sie meine verwirrung bemerkt?

und schon stürmen ihre fragen auf ihn ein.

einlassen, auf was?

 

schiffssehnsucht?!

sie nennt nicht mal ihren namen, ergo blinde passagierin!

verdammt, was zieht das wieder alles nach sich. die hafenbehörden sind immer sowas von geil auf unregelmäßigkeiten. er kann sich mit den folgen gar nicht weiter beschäftigen, denn sie redet locker, locker weiter und ihre schönen zähne mit den lächelnden lippen hypnotisieren ihn.

 

schiffssehnsucht? hatte er die schon mal gehabt?

sein schiff war sein zuhause. er kannte jeden winkel, jede niete, jede spante. wenn er in seiner koje lag wurde er sofort wach, wenn der schiffsdiesel seine drehzahl änderte.

 

schiffssehnsucht?

was für eine frage. allein das wort faszinierte. so richtig hatte er noch nie über so etwas nachgedacht. und doch war da etwas, das er kannte. beim längeren landaufenthalt wachte er nachts plötzlich auf, weil ihm das gleichförmige, monotone motorengeräusch fehlte. das rauschen des wassers außenbords. der wind!

 

"gerüche?" unterbrach sie seine gedanken!

irritiert antwortete er: "klar, auch gerüche. farbe, motorenöl, feuchte taue. "salzwasser?", hakte sie nach.

 

er kam nicht zur besinnung, was sie wohl bemerkte, aber ignorierte.

"ja, seewassergeruch ist schon ein besonderes parfüm", bemerkte er leicht ironisch. "und dunkelhäutiger crewschweiß."

ihr lächeln veränderte sich keineswegs durch seine bissige bemerkung.

was die alles in diesen container gepackt hatte. flaschenpost?! wo gab es denn heutzutage noch sowas. im zeitalter von satnav und radar. alles vollgepumpt mit elektronik.

 

"setzen sie sich doch", forderte sie ihn auf und unterbrach wieder seine gedanken. "ich habe da einen kleinen fragebogen". überrumpelt und gleichzeitig auch neugierig geworden setzte er sich auf das klappstühlchen. ein alter koffer, aufgeklappt.

 

sein schiffshorn ertönte und riß ihn aus diesem traum empor. war es wirklich nur ein traum? wieder zuviel von dem glenfiddich whiskey gestern abend.

schade, er hätte doch zu gern noch mehr über diese tolle person erfahren. er sprang in seine schuhe und hetzte am verdutzt blickenden ersten vorbei auf deck und zum vorschiff. damned! alle container ordnungsgemäß zu und verstaut. puhhh!

 

schiffssehnsucht?

wie kam er nur auf sowas?! kopfschüttelnd betrachtete er die wellen, die zischend die bordwand streichelten. der lautsprecher riß ihn aus seinen weiteren gedanken.

 

"käpten auf die brücke! käpten auf die brücke!"

 

schiffssehnsucht . . . !